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Motorradfahren ist keine Männerdomäne

Die Zeiten, als Motorradfahrende kräftig sein mussten, sind schon lange vorbei. Moderne Motorräder und Roller sind einfach zu bedienen, zuverlässig und individuell anpassbar. Deshalb hat auch das weibliche Geschlecht das Töff- und Rollerfahren längst für sich entdeckt und vom Sozius- in den Fahrersattel gewechselt. Zehntausende von Schweizerinnen jeglichen Alters sind heute im Alltag oder in der Freizeit auf motorisierten Zweirädern aller Grössen und Klassen unterwegs.


«Motorradfahren ist viel zu schön, um es allein den Männern zu überlassen»
Die Schweiz ist ein Motorradland. Über vier Millionen Menschen besitzen hierzulande einen Motorradführerschein. Bereits vor der Pandemie stieg diese Zahl rasant an. Interessant ist: Es sind vor allem Frauen, die den Boom rund um das Motorrad aktiviert haben. Haben auch Frauen entdeckt, dass Motorradfahren das Gefühl von Freiheit vermittelt? Gründe, warum Frauen Motorrad fahren wollen, gibt es viele.


Selbständigkeit, Freiheit und Selbstbewusstsein
Für Bikerin Bettina, 26 Jahre, vermittelt Motorradfahren ein Gefühl von Freiheit und ist ein willkommener Ausgleich, wenn die Tage im Beruf stressig waren. «Als ich Motorradfahren lernte, wurde mir immer und immer wieder gezeigt: Zieh dein Ding durch! Es stärkt dich, dein Selbstbewusstsein und prägt deinen Charakter.»


Bikerinnen sind beliebt
Nicht nur Frauen selbst wissen das coole Image der weiblichen Biker zu schätzen. Viele Männer mutieren zu wahren Gentlemen, wenn eine Frau mit dem Motorrad auf einen Rastplatz oder vor ein Restaurant fährt.


Moderne Motorräder und Roller sind handlicher und bedienungsfreundlicher geworden
Die Motorradindustrie hat zur Entwicklung des hohen Frauenanteils beim Motorradfahren entscheidend beigetragen, indem sie individuell anpassbare Sitzhöhen, ein leichtes Motorradgewicht, Elektro-Starter und eine leichtgängige Bedienung von Motorrädern eingeführt hat. Das geht so weit, dass die Motorräder richtiggehend auf den Geschmack der weiblichen Käuferschaft zugeschnitten werden. Das Motorrad wird zum Lifestyle-Objekt und so für die weiblichen Kunden interessant. Doch wer nun glaubt, den Bikerinnen gehe es nur um das gemütliche Fahren mit Kolleginnen, täuscht sich. Auch das dynamische bis sportliche Fahren mit viel Leistung findet bei den Bikerinnen Anklang. Und auch die neue Generation von Rollern/Vespas konnte bei ihnen massiv punkten. Die Anschaffungspreise und die Nebenkosten bei einem Roller sind zudem moderat. Er fährt sich in der Stadt handlich, verfügt über ein geringes Gewicht und über eine Automatikschaltung. Auch die Suche nach einem Parkplatz fällt vielfach weg und die einzelnen Stadtteile können auch bei starkem Verkehr befahren werden. So wurde aus dem Motorrad-Trend ein Motorrad-Boom!
Die Motorrad-Branche wie auch die Bekleidungs- und Zubehörhersteller reagieren mit neuem Marketing auf diese Entwicklung. Peter Hostettler, der grösste Motorradimporteur der Schweiz, erklärte in einem Interview mit SRF: «Vor etwa zwei Jahren haben wir eine Veränderung festgestellt und damit begonnen, gezielt mehr Frauen einzustellen. Denn es kann nicht sein, dass Männer Motorradzubehör für Frauen entwickeln oder sie in der Auswahl des passenden Motorrads und der Bekleidung beraten.»


Frauen fühlen sich in der Motorrad-Szene «willkommen»
So verwundert es nicht, dass auch die weiblichen Motorrad-Communities stetig wachsen. Nebst den seit Jahrzenten bestehenden Motorrad- Clubs, die viel Pionierarbeit geleistet haben, gibt es immer mehr weibliche Motorrad-Communities, die ihre Leidenschaft, das Motorradfahren, mit anderen Frauen teilen wollen.


Weibliche Motorrad-Community der Schweiz
Für weibliche Motorradfans gibt es in der Schweiz seit geraumer Zeit eine Motorrad-Community.

• WIMA– Womens International Motorcycle Association (WIMA Schweiz)
• Girls on Bike
• kultur & kilometer (kuk)
• Töff Ladies
• MotoLadies

Weitere Informationen dazu.

 

Interview mit Patricia Räss
Auto- und Motorrad-Fahrlehrerin aus Lömmenschwil

Hobbys: Motorradfahren, Bogenschiessen, Malen und Gestalten, Theaterspielen.
Tätigkeitsfeld: Fahrschulunterricht Auto und Motorrad, teilweise Lkw-Fahren (aushilfsweise).


Woher stammt Ihr Interesse am Motorradfahren und wie lange fahren Sie schon Motorrad?
Schon in meiner Jugend fuhr ich gerne mit Kollegen auf dem Motorrad, allerdings nur als Sozia. Das Bedürfnis, selbst Motorrad zu fahren, kam erst viele Jahre später, im April 2007.
Der Grund damals war eine mühsame Baustelle auf meinem Arbeitsweg. Ich habe die Motorradfahrer immer darum beneidet, dass sie sich an der frischen Luft aufhalten konnten, um auf das Grün der Baustellensignalisation zu warten. So ging ich kurz entschlossen an einem Mittag nach Hause und rief meine Kollegin an, ob ich ihr Motorrad kaufen könne. Noch am selben Abend habe ich mir die Maschine mit einem Kollegen angeschaut und auch gleich gekauft. Drei Monate später hatte ich dann auch schon die Prüfung gemacht.


Der Frauenanteil bei den Motorradfahrenden ist in den letzten Jahrenstetig gestiegen und hat 2021 mit 1 794 294 ausgestellten Motorrad-Führerausweisen den Höhepunkt erreicht. Was ist Ihre These, weshalb so viele Frauen in der Schweiz das Motorradfahren entdeckt haben?
Ich kann mir vorstellen, dass die Frauen mutiger und dominanter in ihrem Leben geworden sind. Motorradfahren bringt eine Unmenge an Freiheitsgefühl mit sich. Freiheit, die sich auch die selbstbewusste Frau nehmen will. Oder vielleicht ist eine ältere Frau, Mutter, wieder berufstätig und das Motorrad ist die Lösung für den Arbeitsweg.


Wie sehen Sie die Akzeptanz der Motorradausbildung bei Frauen und Männern? Gibt es Unterschiede?
Ich stelle keinen Unterschied fest. Frauen wie Männer nehmen meine Schulung an und sind immer mit vollem Elan mit dabei. Das Feedback an jedem Kursende ist bei Frau und Mann etwa gleich, jedes Geschlecht hat viel Neues dazugelernt. Oft bekomme ich auch von beiden Seiten nach dem Kurs Fotos von ihren Ausfahrten mit dem Dank für ein Element, das ich geschult habe und dass sie auf ihrer Tour anwenden konnten.


Was setzen die Kursteilnehmerinnen eines Motorrad-Kurses für Prioritäten beim Kauf eines Motorrades und der Motorradausrüstung? Und wie verhält es sich bei den Kursteilnehmern, gibt es Unterschiede?
Ich erlebe, dass das Motorrad klein und leicht sein soll, damit die eher zierliche Frau das Fahrzeug gut bedienen und beherrschen kann. Dass sie mit den Füssen guten Stand auf dem Boden hat. In vielen Fällen findet die Frau auch das passende Motorrad.
Teilweise erlebe ich aber auch, dass Frauen eine zu grosse Maschine kaufen, eine Sportmaschine, Harley oder sonst einen Chopper. Die Motivation ist oft der Mann oder Freund, der ebenfalls ein solches Motorrad fährt. Nicht immer ist die Auswahl des Motorrades passend für den Einstieg der Person: zu gross, zu schwer, zu schwierig für Manöver in der Anfangsphase.
Die Motorradbekleidung bei der Frau ist deutlich sicherer und überlegter als teilweise bei den Männern. Sicherheit geht klar vor. Nur wenige junge Frauen, sondern eher die Rollerfahrer:innen, haben eine ungenügende Schutzausrüstung.
Ich vergleiche die Motorradausrüstung mit dem Equipment eines Tauchers. Es würde sich kein Anfänger etwas Günstiges kaufen, was nicht sicher ist. Doch mit der Motorradbekleidung ist diese Sicherheit wohl nicht immer das Wichtigste. Noch nie erlebte ich in meinen Grundkursen Inakzeptanz, Unverständnis oder Belustigung gegenüber Frauen auf dem Motorrad, im Gegenteil, meistens bekommen sie Lob von anderen Teilnehmenden. Auch ich als Fahrlehrerin werde von allen Kurteilnehmenden beider Geschlechter ernst genommen.

 

Online-Veröffentlichung: 5.10.2022
Beitrag: Ravaldo Guerrini
Quellen: ASTRA, SRF, grazie-magazin
Bilder: Ravaldo Guerrini, Patricia Räss, stock.adobe.com