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Den Führerausweis altershalber freiwillig abgeben?

Die Berner Fachhochschule BFH befragte im Auftrag des Fonds für Verkehrssicherheit FVS Fahrerinnen und Fahrer ab 55 Jahren. Dabei hat sich gezeigt, dass motorisierte Mobilität einem grossen Bedürfnis entspricht. Über 50% der Befragten möchten bis zu einem Alter von 85 Jahren selbst Auto fahren, 16% sogar bis zu einem Alter von 95 Jahren. Der Wunsch nach Mobilität und Autonomie bis ins hohe Alter steht dabei im Vordergrund. Kein Wunder, dass sich viele Seniorinnen und Senioren nicht von ihrem Führerausweis trennen möchten.

Den Führerausweis freiwillig abgeben – das ist für viele ein schmerzhafter Schritt
Nicht nur Prinz Philip fiel es schwer, sich vom Führerschein zu trennen. Er tat es erst nach einem gröberen Unfall. Auch Schweizerinnen und Schweizer müssen sich mit dem Gedanken befassen, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, sich vom Führerausweis zu verabschieden. Doch wann das ist, darüber sind sich die Betroffenen, der Bund und die Fachleute nicht ganz einig.
Bereits 2016 hat der Bund die medizinischen Anforderungen für das Führen eines Motorfahrzeuges nach unten korrigiert und das Mindestalter für medizinische Untersuchungen von 70 auf 75 Jahre nach oben geschraubt. Das ASTRA schrieb in einer Erklärung zu den VZV-Änderungen, Ziel sei es, die motorisierte Mobilität so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, und beschloss, die medizinischen Mindestanforderungen dem Stand der Wissenschaft und Technik anzupassen. Die wesentlichen inhaltlichen Neuerungen betreffen das Sehvermögen. Die Sehschärfewerte und Gesichtsfeldgrenzen orientieren sich künftig an den europaweit üblichen Anforderungen, was eine Lockerung der bisherigen Mindestanforderungen zur Folge hatte. Doch was bedeutet diese Erklärung?
 

Fahreignung und Fahrkompetenz
Jede Person, die einen Führerschein möchte oder bereits einen hat, muss über eine sogenannte «Fahreignung» und «Fahrkompetenz» verfügen. Das ergibt sich aus Art.14 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG).
 

Fahreignung bedeutet:

  • Die Person hat das Mindestalter für die entsprechende Führerausweiskategorie erreicht.
  • Die Person erfüllt die medizinischen Mindestvoraussetzungen zum sicheren Fahren von Motorfahrzeugen.
  • Die Person bietet charakterlich dafür Gewähr, sich an die Verkehrsregeln zu halten und auf die Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.

Fahrkompetenz bedeutet:

  • Fahrkompetenz heisst, dass die Person die Verkehrsregeln kennt und die Motorfahrzeuge der entsprechenden Führerausweiskategorie sicher beherrschen kann.

So weit wäre alles klar, gäbe es da nicht den «Führerausweis light» für Seniorinnen und Senioren.


Der Führerausweis mit Beschränkungen
Eigentlich wollte der Bund dem «Führerausweis light» nach 2016 zum Durchbruch verhelfen. Den Strassenverkehrsämtern lagen bereits vor Juli 2016 allgemeine Rechtsgrundsätze vor, die es erlaubten, Führerausweise zeitlich oder örtlich limitiert auszustellen. Doch dies wurde von den Kantonen sehr wenig praktiziert. In der neuen Verordnung wurde deshalb die Möglichkeit hervorgehoben, den Betroffenen den Führerausweis mit Beschränkungen zu belassen, statt die Fahrberechtigung ganz aufzuheben. So kann die Zulassungsbehörde die Fahrberechtigung zum Beispiel mit einem Autobahn- oder Nachtfahrverbot verknüpfen. Es ist auch möglich, die Fahrberechtigung auf speziell ausgerüstete Fahrzeuge (z.B. mit Bremsassistent, Automatikgetriebe) oder auf Fahrten innerhalb eines bestimmten Rayons oder für eine bestimmte Strecke (Weiler–Dorf) zu beschränken. Doch die sanfte Ermunterung des ASTRA, mehr beschränkte Führerausweise auszustellen, hat bei den kantonalen Behörden nicht zum erwünschten Ergebnis geführt. Anlass zu kontroversen Diskussionen gab jedoch Abs. 2 des Art. 34 VZV, denn die Beurteilung der Fachkompetenz muss «nur» durch einen Arzt der Stufe 4 und nicht durch eine praktische Kontrollfahrt beurteilt werden, was für viele Fachpersonen nicht nachvollziehbar ist.

Art.34 VZV
1 Die kantonale Behörde kann den Führerausweis von Personen, welche die medizinischen Mindestanforderungen nach Anhang 1 auch mit Hilfsmitteln nicht mehr vollständig erfüllen, beschränken statt ihn ganz zu entziehen.
2 Ein Arzt mit der Anerkennung der Stufe 4 muss beurteilen, mit welchen Beschränkungen eine sichere Teilnahme am Verkehr noch möglich ist.
3 Der Führerausweis kann namentlich örtlich, zeitlich, auf bestimmte Strassentypen, auf bestimmte Fahrzeugarten oder auf individuell angepasste oder ausgestattete Fahrzeuge beschränkt werden.


Mobilität versus Verkehrssicherheit?
Wer heute aus Altersgründen seinen Führerausweis abgeben muss, gehört zu jener Generation, für die das Auto mehr als ein Fortbewegungsmittel ist und war. Sie hat am Samstag ihr Fahrzeug poliert, um am Sonntag über Passstrassen zu kurven und dem gewohnten Alltag zu entfliehen. Der eigene Wagen war Ausdruck von Wohlstand, Freiheit und Mobilität. Das ist tief verankert in der Generation der über 80-Jährigen.
Sensibilisierungskampagnen für sicheres Autofahren im Alter können bei den Einstellungen oder beim Verhalten der Autofahrerinnen und Autofahrer ansetzen. Studien des Instituts Alter der Berner Fachhochschule zeigen: Frauen und Männer müssen dabei unterschiedlich angesprochen werden. Der Knackpunkt einer Sensibilisierungskampagne liegt in der subjektiven Einstellung einer Person zum Thema Autofahren. Beispielsweise kann eine Kognition lauten: «Autofahren im Alter ist für meine Autonomie, meine Mobilität und Unabhängigkeit sehr wichtig.» Eine dissonante Kognition, also eine dazu widersprüchliche Einstellung, wäre: «Ältere Autofahrer sind ein Risiko im Strassenverkehr.» Diese unangenehme Dissonanz könnte die Person auflösen, indem sie folgende Kognition in ihr Einstellungssystem einfügt: «Sicher fahren hat nichts mit dem Alter zu tun, ich sehe auch viele junge Fahrer, die ein Verkehrsrisiko bedeuten.»


Männer können von den Frauen lernen
Die Problematik der älteren Autofahrenden im Strassenverkehr und damit die Notwendigkeit einer Sensibilisierungskampagne für sicheres Fahren im Alter ist offenkundig. Von jüngeren Autofahrenden wird den älteren sicherheitsgefährdendes Fahrverhalten vorgeworfen, was negative Emotionen und riskante Überholmanöver der anderen Fahrzeuglenker provoziere. Bei der Zielgruppe der älteren männlichen Fahrzeuglenker ist zu beachten, dass sie sich nicht mit älteren Autofahrern identifiziert. Anders zeigt sich das Profil der Fahrzeuglenkerinnen. Ihre Selbstwahrnehmung ist realistischer, sie sind sich eher bewusst, dass ihre Fähigkeiten abnehmen und Anpassungen im Verhalten notwendig sind. Das zeigt sich beispielsweise im rücksichtsvolleren Fahrstil, der ihnen vielfach auch von den Männern attestiert wird. Interventionen bei der Zielgruppe der Fahrzeuglenkerinnen können daher eher bei den kognitiven Bereichen ihres Einstellungs- und Verhaltenssystems ansetzen (BFH Impuls 2/2017).


Machen Sie den Fahrsicherheits-Check
Ein Auto verspricht Mobilität bis ins hohe Alter. Lässt die Fahrtüchtigkeit nach, kann sich ein Fahrtraining lohnen. Regelmässige Gesundheitschecks beim Arzt und eine Übungsfahrt mit einem speziell ausgebildeten Fahrlehrer, einem «Seniorcoach», können Einschränkungen und Defizite bei den eigenen Fähigkeiten aufdecken und helfen, Lösungen zu finden.


Der Coach entscheidet nicht über den Entzug des Ausweises
In Ländern wie Norwegen, Schweden oder den Niederlanden sind Fahrtests für Senioren bereits Realität. Auch in der Schweiz bieten viele Organisationen Fahrtrainings und Weiterbildung an. Allen voran bietet Seniordrive auf den Senior und die Seniorin abgestimmte Fahrtests an. Lesen Sie dazu das Interview mit Toni Kalberer, Präsident von Seniordrive.


Online-Veröffentlichung: 9.10.2022
Beitrag: Ravaldo Guerrini
Bild: stock.adobe.com

 

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